Loslassen lernen

 
vom 05.10.2017

Von Reinhard Rau, optimum-consulting.de e.K.

Reinhard Rau, Inhaber der optimum-consulting.de e.K. ist Partner der Unternehmensbörse Hessen. In den nachfolgenden Fachartikel stellt er anhand verschiedener Fallbeispiele vor, was passieren kann, wenn Unternehmen die Nachfolge nicht rechtzeitig anpacken.

Internationale Untersuchungen zeigen, dass Unternehmensnachfolgen in Deutschland gegenüber anderen Ländern in Europa fünf bis acht Jahre später angestoßen werden. Der wesentliche Grund dafür liegt im Nicht-loslassen-Können des Alteigentümers. Dass es auch anders geht, zeigt der folgende Beispielfall:

Über eine Geschäftsbank, die bei seinem bisher sehr erfolgreichen Unternehmen einen signifikanten Umsatzrückgang der vergangenen Monate beobachtet hatte, wurde dem Unternehmer empfohlen, eine externe Analyse für die Gründe der aktuellen Geschäftsentwicklung vornehmen zu lassen. Nachdem der Senior seine psychologischen Hemmschwellen über Bord geworfen hatte, zeigte er sich sehr interessiert, seine letzte Entscheidung als Unternehmer mit einer erfolgreichen Nachfolgeregelung zu krönen.

Während der Vorbereitungsphase des Projektes wurden neben den privaten Plänen des Seniors vor allem die Ziele, das Ablaufprocedere sowie ein realistischer Zeithorizont diskutiert. Die Maxime war: Erhalt der Firma als Ganzes. Bereits zu Beginn der Klärungsphase stellte die Tochter klar, dass sie aus familiären Gründen für die Übernahme der alleinigen Geschäftsführung nicht zur Verfügung stünde. Angedacht war, dass der technische Leiter, wesentlicher Know-how-Träger der Firma, sofort die Geschäftsführung und den Verkauf übernehmen sollte. Die Tochter wollte unter ihm als kaufmännische Geschäftsführerin arbeiten. Weitere Reorganisationsmaßnahmen sollten zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden.

Für die Erklärung der Gründe des Umsatzrückgangs lagen anfangs keine konkreten Informationen vor. Aus dem Gespräch mit der Geschäftsführung des größten Kunden ergab sich, dass ein Auftragsstopp vor dem Hintergrund einer neuen Konzernrichtlinie erfolgte. Diese sah vor, dass alle großen Lieferanten, insbesondere die inhabergeführte Unternehmen, eine „geordnete Unternehmensführung“ nachweisen mussten. Dieser Aufforderung war der Senior nicht nachgekommen. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man mit Qualität, Service und Preisen zufrieden war, und ein Wiederaufbau der Geschäftsbeziehung nach Erfüllung der bekannten Konditionen denkbar wäre.

Diesen Vorfall nahm der eingesetzte Leitungskreis zum Anlass, alle Abteilungen des Unternehmens auf mögliche Schwachstellen hin zu untersuchen. In diesem Zusammenhang wurden zusätzliche Experten für diese Aufgabenstellung hinzugezogen. Wichtig erschien es auch dem Team, die sogenannten Brennkittelfaktoren klar zu identifizieren und die Kosten für die Beseitigung von Engpasssituationen und des Brautschmückens zu ermitteln. Dabei wurden auch steuerliche Auswirkungen beim Rückzug des Unternehmers, Verwertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens sowie das Thema der Entflechtung, also die private Nutzung von Geschäftsvermögen, betrachtet. Im Führungsteam entstand eine Aufbruchsstimmung, die von allen positiv aufgenommen wurde.

Bei der ersten Besprechung mit dem Senior wurden unter anderem folgende Eckpunkte festgehalten: Es bestanden sehr gute Chancen für die Rückgewinnung der Aufträge vom bisherigen Großkunden, Vorlage von Absichtserklärungen für neue Aufträge von einer Roboterfirma, sobald zwei neue CNC-Maschinen zur Verfügung stünden, Anpassung der Personalsituation um zwei Mitarbeiter (Verkauf und IT). Das kurzfristige Kostenvolumen war auf knapp 200.000 Euro pro Jahr geschätzt worden. Die Leasingkosten für zwei neue CNC-Vollautomaten waren darin bereits enthalten. Liquidität war ausreichend vorhanden, da die Gewinnentnahmen in den vergangenen Jahren sehr konservativ gehandhabt wurden. Die Vorschläge überzeugten auch den Senior und wurden zur Umsetzung freigegeben.
Die Hauptaufgabe des Unternehmensberaters bestand zu diesem Zeitpunkt neben der Ko-ordination des gesamten Nachfolgeprozesses darin, ein Exposé und einen Teaser zu erstellen, um damit die notwendigen Unterlagen für die Einleitung der Interessentensuche einzuleiten. Zwischenzeitlich wurde vom ihm auch auf Basis der Unternehmensanalyse eine erste Unternehmenswertermittlung durchgeführt. Hier bediente sich der Berater verschiedener Methoden, um einen sogenannten Kaufpreiskanal zu ermitteln. Ziel war es, dem Verkäufer einen Überblick über den voraussichtlichen Kaufpreis zu geben, mit dem er in die ersten Verhandlungen einsteigen konnte.

Die Identifizierung geeigneter Interessenten und deren erste Einschätzung als potenzielle Käufer erstreckte sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen. Über die Einschaltung bestehender Netzwerkkontakte, Chiffre-Anzeigen auf Internetbörsen und Fachmagazinen schälten sich acht Kaufinteressenten heraus. Nach einer ersten Überprüfung der Finanzstärke der Kandidaten durch Vorlage einer vorläufigen Finanzierungszusage blieben letztendlich nur noch drei Interessenten übrig. Nach Unterzeichnung der Vertraulichkeitserklärung wurden die Einzelgespräche angestoßen.

Wegen unterschiedlichen Firmenphilosophien wurden die Gespräche mit dem ersten Bewerber kurzfristig abgebrochen. Der zweite Bewerber wollte durch den Kauf seine Marktposition in der Region ausbauen und das Zielobjekt zu einer verlängerten Werkbank seiner Gesellschaft umzufunktionieren. Um die beabsichtigten Synergieeffekte erzielen zu können, war ein drastischer Personalabbau vorgesehen. Auch diese Gespräche wurden nicht weiter verfolgt. Der über eine Internetplattform generierte dritte Kontakt zeichnete sich als der interessanteste Nachfrager ab.

Um sich ein Bild von der Firma machen zu können, reiste das Projektteam zum Stammsitz des ausländischen Interessenten. Auch der Senior zeigte sich von der Verfassung, den Produktionsabläufen und Qualitätsniveau des Interessenten stark beeindruckt. Auch das Gespräch mit der Geschäftsbank, die das Projekt finanzieren wollte, verlief positiv. Noch vor Abreise wurde mit dem Interessenten ein Termin für den Start der Due Diligence-Gespräche vereinbart.

Nach Unterzeichnung der Absichtserklärung mit Abgabe eines konkreten Angebotspreises fand das nächste Treffen unter Leitung des Eigentümers am Sitz des Zielprojektes statt. Die Atmosphäre konnte schon fast als freundschaftlich bezeichnet werden. Selbstverständlich wurden einige im Business Plan getroffenen Annahmen hinterfragt. Da es jedoch zwischenzeitlich der Zielgesellschaft gelungen war, vom ehemaligen Großkunden erste erwähnenswerte Aufträge zu bekommen, war die Ausgangsposition recht komfortabel. Letztendlich wurde ein Kaufpreis diskutiert, der sogar leicht über dem Wert der Absichtserklärung lag.

Beim Folgetreffen in Deutschland wurde der Kaufvertrag für die Übernahme der 74,9 Prozent GmbH-Anteile des Seniors endgültig verhandelt. Im Vertrag wurde ebenfalls unter anderem festgehalten: Übergabe der restlichen GmbH-Anteile der Tochter nach zwei Jahren, Weiterbeschäftigung der beiden Geschäftsführer für mindestens zwei Jahre und Beratertätigkeit des Seniors für mindestens ein Jahr. Nach der notariellen Beurkundung und endgültigen Finanzierungszusage wurde die erfolgreiche Umsetzung der Nachfolgeregelung angemessen kommuniziert. Besonders hervorgehoben wurde dabei, dass die Firma nicht zerschlagen wurde und somit rund 45 Arbeitsplätze am Standort RheinMain abgesichert werden konnten.

Kontakt:

Reinhard Rau
Inhaber, optimum-consulting.de e.K., Eschborn
reinhard.rau@optimum-consulting.de